Der Trompeter und sein Nachbar
Der Trompeter und sein Nachbar
Nachbarn können nicht verlangen, dass einem Trompeter das Üben und Musizieren komplett untersagt wird. Der Musiker müsse zwar die ortsüblichen oder vereinbarten Ruhezeiten einhalten, ansonsten könne aber kein weitergehendes Verbot erteilt werden. Auch die Erteilung von Musikunterricht in einem zeitlich begrenzten Rahmen müsse als sozialadäquate Störung akzeptiert werden. ZU diesem Ergebnis kam der Bundesgerichthof in einem Urteil vom 26.10.2018 (Aktenzeichen V ZR 143/17)
Dem Verfahren lag die Klage eines Nachbarn in einer Reihenhaussiedlung zugrunde. Dieser wollte, dass der im Nachbarhaus wohnende Berufsmusiker nur so in seiner Wohnung spielte und übte, dass man auf seinem Grundstück hiervon nichts mehr höre. Der Musiker gab an, dass er unter Einhaltung der Ruhezeiten an maximal zwei Wochentagen jeweils höchstens drei Stunden übe. Darüber hinaus unterrichte er zwei Stunden in der Woche externe Schüler. Für das Musizieren nutzte er sowohl seine Erdgeschosswohnung als auch einen Probenraum unterm Dach.
Der Nachbar konnte sich vor dem zuständigen Amtsgericht zunächst durchsetzen. Im Berufungsverfahren ändere das Gericht das Urteil dahingehend, dass die Erteilung von Musikunterricht an Dritte insgesamt zu unterlassen sei und Übungen des Trompeters nur noch in den Dachgeschossräumen stattfinden dürften. Aber auch dort nur für 10 Stunden in der Woche, wobei die >Stunden von Montag bis Freitag absolviert werden müssten und zwar zwischen 10:00 und 122 Uhr sowie zwischen 15:00 und 19:00 Uhr. Außerdem gestand das Gericht dem Trompeter das Spielen an maximal acht Wochenendtagen (Samstag oder Sonntag) jeweils eine Stunde zwischen 15:00 und 18:00 Uhr.
Der Bundesgerichtshof hob im Revisionsverfahren auch diese Entscheidung auf und verwies den Fall zurück an das Landgericht. Dort verwies man auf den Lokaltermin, den das Landgericht durchgeführt hatte. Dabei wurde festgestellt, dass das Spiel des Trompeters in den Dachgeschossräumen beim Nachbarn kaum (im Schlafzimmer) beziehungsweise gar nicht (im Wohnzimmer) zu hören war. Es handele sich also um eine unwesentliche Beeinträchtigung, deren Unterlassung der Nachbar nicht verlangen könne.
Unwesentlich sei die Beeinträchtigung, weil anzunehmen sei, dass sie von einem „verständigen Durchschnittsmenschen“ nicht als wesentliche Beeinträchtigung eingeordnet würde, was von Fall zu Fall individuell geprüft werden müsse. Insoweit habe das Landgericht einen zu strengen Maßstab zugrunde gelegt.
Das häusliche Musizieren einschließlich des dazugehörigen Übens gehöre zu den sozialadäquaten und üblichen Formen der Freizeitbeschäftigung und sei deshalb unter den vorgenannten Voraussetzungen in gewissen Grenzen hinzunehmen. Es könne sich hier um einen wesentlichen Teil des Lebensinhalts handeln, der von erheblicher Bedeutung für die Lebensfreude und das Gefühlsleben sein könne. Dies gehöre zu der grundrechtlich geschützten freien Entfaltung der Persönlichkeit.
Andererseits habe auch der Nachbar in seiner Wohnung Anspruch auf die nötige Ruhe, die er zur Entspannung und Erholung und zur häuslichen Arbeit benötige. Ein Ausgleich der widerstreitenden nachbarlichen Interessen könne im Ergebnis nur durch eine ausgewogene zeitliche Begrenzung des Musizierens herbeigeführt werden.
Dabei habe ein Berufsmusiker, der sein Instrument im häuslichen Bereich spielt, nicht mehr, aber auch nicht weniger Rechte als ein Hobbymusiker und umgekehrt.
Wie die zeitliche Regelung im Einzelnen auszusehen habe, richte sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere dem Ausmaß der Geräuscheinwirkung, der Art des Musizierens und den örtlichen Gegebenheiten. Eine Beschränkung auf zwei bis drei Stunden an Werktagen und ein bis zwei Stunden an Sonn- und Feiertagen, jeweils unter Einhaltung der üblichen Ruhezeiten in der Mittags- und Nachtzeit, könne als grober Richtwert dienen. Die örtlichen Gegebenheiten seien ebenfalls von Bedeutung.
Können die Geräuscheinwirkungen erheblich verringert werden, indem in geeigneten Nebenräumen musiziert wird, könne es aufgrund nachbarlicher Rücksichtnahme geboten sein, das Musizieren in den Hauptwohnräumen zeitlich stärker einzuschränken. Das gelte insbesondere dann, wenn auf Seiten des Nachbarn besondere Umstände wie eine ernsthafte Erkrankung eine gesteigerte Rücksichtnahme erfordern. Das Musizieren in den Hauptwohnräumen des Hauses könne aber nicht gänzlich untersagt werden.
Auch die zeitlich begrenzte Erteilung von Musikunterricht könne je nach Ausmaß der Störung noch als sozialadäquat anzusehen sein. Die Festlegung der einzuhaltenden Ruhezeiten müsse sich an den üblichen Ruhezeiten orientieren; im Einzelnen haben die Gerichte einen gewissen Gestaltungsspielraum. Ein nahezu vollständiger Ausschluss für die Abendstunden und das Wochenende, wie ihn das Berufungsgericht vorgesehen habe, komme jedoch nicht in Betracht. Dies ließe nämlich außer Acht, dass Berufstätige, aber auch Schüler häufig gerade abends und am Wochenende Zeit für das Musizieren finden.
Nach alledem werde hier das Trompetenspiel im Dachgeschoss, das nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ausschließlich im Schlafzimmer der Kläger leise zu vernehmen ist, zur Mittags- und Nachtzeit als wesentlich, zu den übrigen Zeiten aber jedenfalls für etwa drei Stunden werktäglich (und eine entsprechend geringere Zeitspanne an Sonn- und Feiertagen) als unwesentlich anzusehen sein. Dann stünden dem Trompeter relativ großzügige Zeiträume zur Verfügung. Infolgedessen könnte das Trompetenspiel in den Haupträumen engeren zeitlichen Grenzen unterworfen werden. Jedenfalls insgesamt sollte das tägliche Musizieren in dem Haus etwa drei Stunden werktags (und eine entsprechend geringere Zeitspanne an Sonn- und Feiertagen) nicht überschreiten.
Entstünden durch den Musikunterricht lautere oder lästigere Einwirkungen und damit eine stärkere Beeinträchtigung der Kläger, müsse dieser gegebenenfalls auf wenige Stunden wöchentlich beschränkt werden; sofern sich das Dachgeschoss zu der Unterrichtserteilung eigne, könnte das Landgericht vorgeben, dass der Unterricht nur dort stattfinden darf.