Der Bundestag hat im Oktober das GKV-Versichertenentlastungsgesetz beschlossen. Dadurch werden die Krankenversicherungsbeiträge ab Januar für viele freiwillig versicherte Selbstständige um mehr als die Hälfte sinken. Überraschenderweise ist das Gesetz auf den letzten Drücker im Gesundheitsausschuss sogar weiter zugunsten der Versicherten geändert worden: An vorderster Stelle beteiligt am Überraschungs-Coup war der Vorsitzende des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland e.V. (VGSD), Dr. Andreas Lutz.
Viele Leserinnen und Leser kennen den Münchner Gründungsberater und Interessenvertreter als Veranstalter der bundesweiten MeinBüro-Seminare. Wir haben Dr. Andreas Lutz nach seiner Einschätzung der GKV-Neuregelung gefragt und um einen Ausblick gebeten.
Herzlichen Glückwunsch, Herr Dr. Lutz: Sie fordern schon seit Jahren faire Beiträge für Selbstständige und waren als Vertreter des VGSD maßgeblich am Gesetzgebungsverfahren beteiligt. Was genau wird sich denn nun ab Januar 2019 ändern?
AL: Statt mehr als 420 Euro wird der GKV-Mindestbeitrag für freiwillige Mitglieder nur noch 188 Euro betragen. Das ist ein Beitragsnachlass von fast 56%! Berechnungsgrundlage ist das fiktive Mindesteinkommen, das nicht wie ursprünglich geplant von 2.284 Euro auf 1.142 Euro sinkt, sondern gleich auf 1.015 Euro. Gegenüber dem ursprünglichen Gesetzesentwurf sparen die Betroffenen zusätzlich über 23 Euro pro Monat. Zugleich wird die komplizierte Unterscheidung zwischen haupt- und nebenberuflicher Selbstständigkeit an dieser Stelle überflüssig. Die bisher bestehende Härtefallregelung mit Prüfung des Partner-Einkommens entfällt genauso wie die Ermäßigung für Gründungszuschuss-Bezieher. Denn die neuen Mindestgrenzen sind niedriger als zuvor die ermäßigten. Das erspart allen Beteiligten eine Menge bürokratischen Aufwand, Zeit und Nerven!
Wie viele Selbstständige profitieren denn von den Beitragssenkungen?
AL: Nach unseren Schätzungen werden aufgrund der Neuregelung kurzfristig rund eine Million Selbstständige niedrigere, weil einkommensabhängige Krankenversicherungsbeiträge bezahlen. Die Gesamtzahl der Betroffenen ist aber noch wesentlich größer: Schließlich können auch heute gutverdienende Selbstständige von Gewinnrückgängen betroffen sein – sei es durch Auftragsflauten, Unfall, Krankheit oder persönliche Krisen. Und für viele bisher beim Partner mitversicherte Selbstständige lohnt sich erstmals eine sozialversicherungspflichtige Selbstständigkeit jenseits der Geringfügigkeitsgrenze von 435 Euro.
Apropos Krankheit: Änderungen gab es auch beim Krankengeld…
AL: Ja, das war uns ein besonderes Anliegen. Die Neuregelung sorgt dafür, dass Versicherte beim Bezug von Kranken-, Eltern- oder Mutterschaftsgeld künftig einkommensabhängige Beiträge zahlen. Bisher war auf jeden Fall
der Mindestbeitrag fällig – selbst, wenn die Höhe der Leistungen auf Grundlage eines wesentlich geringeren tatsächlichen Einkommens berechnet wurde: Der Bescheid der Krankenkasse brachte für viele junge Eltern und schwer kranke Selbstständige eine böse Überraschung.
Wie erklären Sie sich den letztlich überraschenden Durchbruch bei den Mindestbeiträgen und beim Krankengeld?
AL: Wichtig war aus meiner Sicht das gemeinsame Vorgehen der in der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände (BAGSV) organisierten Organisationen. Obwohl die Mitglieder einiger Verbände selbst gar nicht betroffen waren, haben auch ihre Vertreter unsere Forderungen engagiert mitgetragen.
Hilfreich waren aber auch unsere ganz konkreten Vorschläge im Gesetzgebungsverfahren, die auf das im jetzigen Rahmen machbare abzielten – und ihre konkrete Begründung mit Bürokratieabbau und Gegenfinanzierung. Durch eine große Zahl von Gesprächen mit Politikern haben wir eine ungewöhnlich breite Unterstützung bei den Bundestagsparteien erreicht – angefangen bei FDP, über die SPD und Teilen von CDU und Grünen bis hin zur Linken!
Ist das Thema Sozialversicherung von Selbstständigen damit nun erst einmal vom Tisch?
AL: Im Gegenteil – mit dem erfreulichen Rückenwind geht es jetzt erst richtig los. Schließlich zahlen gesetzlich versicherte Selbstständige weiterhin wesentlich höhere Krankenversicherungsbeiträge als Angestellte. Um auf das gleiche Netto zu kommen, muss der Gewinn eines Selbstständigen 20% höher liegen als der eines Angestellten, deshalb zahlen wir bei vergleichbarem Einkommen 20% höhere Beiträge als Angestellte und ihre Arbeitgeber zusammen. Anders als bei Arbeitnehmern werden zudem Kapitaleinkünfte oder Mieteinnahmen in die Beitragsberechnung mit eingezogen.
Und auch nach der Reform liegen die Mindestbeiträge noch immer deutlich über denen bei Angestellten. Von einer Gleitzonenregelung können wir nur träumen. Bei Angestellten soll diese dagegen ausgebaut werden. Diese Benachteiligungen müssen vom Tisch und auch bei der privaten Krankenversicherung gibt es dringenden Verbesserungsbedarf.
Nächstes Jahr bekommen wir zudem eine Altersvorsorge-Debatte, bei der es für Selbstständige um sehr viel Geld geht: Bekanntlich sollen in Zukunft auch Selbstständige zwangsweise in die gesetzliche Rentenversicherung oder bestimmte private Alternativprodukte einzahlen. Wer bisher gut vorgesorgt hat, zahlt künftig womöglich zusätzlich hohe Zwangsbeiträge und kann im schlimmsten Fall bestehende Versicherungen und Immobilienkredite nicht mehr bedienen. Hier müssen ebenfalls pragmatische und faire Lösungen gefunden werden, die dem Einzelnen gerecht werden ohne dass ein bürokratisches Monstrum entsteht.
Nicht zu vergessen die berüchtigten Statusfeststellungsverfahren: Das Damoklesschwert der Scheinselbstständigkeit sorgt schon seit Jahren für Unsicherheit unter Selbstständigen und ihren Auftraggebern. Diese verlagern Aufträge deshalb zunehmend ins Ausland oder wandeln sie in schlechter bezahlte Leiharbeit um. Hier brauchen wir endlich mehr Rechtssicherheit. Die Arbeit geht uns beim VGSD also nicht aus!
Viel Erfolg dabei, Herr Dr. Lutz, und danke für das Gespräch.
Hintergrund: Der Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland e.V. (VGSD) versteht sich als Interessenvertreter kleiner Unternehmen, Solo- und Teilzeit-Selbstständiger in Deutschland. Unabhängig von Branche und Einkommenshöhe tritt der VGSD für die wirtschaftlichen und sozialen Belange seiner Mitglieder ein. Außerdem bietet der Verband attraktive Service-Leistungen und fördert die interne Kommunikation sowie Weiterbildungen: Zum Publikumsmagneten haben sich die kostenlosen “VGSD-Experten-Telkos” entwickelt, die von mehr als 10.000 Teilnehmer pro Jahr gehört und gesehen werden.