Den aktuellen Leit-Zinssatz kann man sich leicht merken: Er liegt in Euroland seit zweieinhalb Jahren bei 0,00%. In Worten: Null Komma Null Prozent! Fast muss man froh sein, bei Geldanlagen nicht noch draufzahlen zu müssen! Unterm Strich ist das längst der Fall: Die steigende Inflationsrate nagt ja schon seit Jahren am Wert des Geldvermögens. All das kümmert den Staat herzlich wenig – im Gegenteil: Der profitiert bei seinem eigenen Schuldendienst von einer historisch niedrigen Zinslast – stellt den Steuer- und Gebührenzahlern seinerseits aber nach wie vor happige Verzugs- und Strafzinsen in Rechnung!
Der amtliche Standardzinssatz ist seit fast 60 Jahren unverändert. Er liegt zwar auch nur bei 0,5% – das allerdings pro Monat. In § 238 Abgabenordnung heißt es: „Die Zinsen betragen für jeden Monat einhalb Prozent.“
Mit anderen Worten: Aufs Jahr gesehen kassiert der Fiskus mitten in der Nullzinsphase stolze 6% Zinsen! Zwar beginnt der Zinslauf erst 15 Monate nach Ende des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist. Trotzdem kommen unterm Strich schnell happige Zins-Forderungen zustande:
Angenommen, das Finanzamt hat anlässlich einer Steuerprüfung des Jahres 2013 bei Ihnen einen höheren Gewinn festgestellt und eine Steuernachzahlung von 10.000 Euro verhängt. Mit der ohnehin schon schmerzhaften Nachzahlung ist es dann nicht getan: Die offene Forderung wird rückwirkend ab April 2015 obendrein mit 6% verzinst. Unter Berücksichtigung des Zinseszinses ergibt sich daraus eine zusätzliche Steuerschuld von 2.267 Euro! Die Gesamtforderung beträgt 12.367 Euro – und ist damit unterm Strich um fast ein Viertel höher als die eigentliche Steuernachzahlung!
BFH äußert Verfassungsbedenken
Dass das so nicht weitergehen kann, haben in diesem Jahr sogar Richter am Bundesfinanzhof (BFH) eingesehen. Im Frühjahr 2018 entschieden sie, die Vollziehung von Zinsen auf Steuernachzahlungen vorläufig auszusetzen: In seinem Urteil (Az.: IX B 21/18 vom 25. April 2018) geht der BFH davon aus, dass der gesetzliche Zinssatz von 6% p.a. möglicherweise verfassungswidrig ist. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über zwei anhängige Verfassungsbeschwerden (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) hat der BFH einem Steuerzahler vorläufigen Rechtsschutz gegen die Vollziehung der Zinsforderung gewährt. Bei den Verfassungsbeschwerden geht es um Verzinsungszeiträume seit 2009 bzw. 2011, im BFH-Urteil um Verzinsungszeiträume seit April 2015.
Die gute Nachricht: Für Verzinsungen ab dem 1. April 2015 hat das Bundesfinanzministerium mit Schreiben vom 14. Juni 2018 den Finanzbehörden freie Hand für die „Aussetzung der Vollziehung“ von Zinsforderungen gegeben. Für Verzinsungszeiträume vor dem 1. April 2015 ist eine Aussetzung demnach nur dann vorgesehen, wenn sie „für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte und im Einzelfall ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers zu bejahen ist.“
BMF-Schreiben: Zins-Moratorium nur auf Antrag!
Wichtig: In beiden Fällen wird die Aussetzung nicht von Amts wegen gewährt! Sie greift nur, wenn der „Zinsschuldner“ sie beantragt! Falls Sie dieser Tage einen Steuerbescheid mit Zinsforderungen vom Finanzamt bekommen, sollten Sie daher unbedingt Einspruch einlegen und die Aussetzung der Vollziehung beantragen. Dabei verweisen Sie am besten auf die genannte BFH-Entscheidung und die laufenden Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Das oberste deutsche Gericht hat angekündigt, noch in diesem Jahr über die Verfassungsbeschwerden zu entscheiden. Kosten oder Risiken sind mit dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nicht verbunden: Während der Aussetzung ist der Zinslauf unterbrochen!
Übrigens: Steuererstattungen werden bis zu einer möglichen Gesetzesänderung weiterhin mit 6% pro Jahr verzinst. Falls Sie ausnahmsweise einmal zu viel Steuern gezahlt haben und ihre Steuererstattung auf sich warten lässt, können Sie sich ab dem 15 Monat nach Ende den betreffenden Steuerjahres über einen satten Zinsertrag freuen.