Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles will die Vorschriften zur (Schein-)Selbstständigkeit verschärfen. Kein Wunder, dass bei Interessenvertretern von Selbstständigen und Unternehmern die Alarmglocken schrillen. Der Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) hat Ende Mai eine Petition zum Thema (Schein-)Selbstständigkeit gestartet:
Darin fordert der Verband eindeutige und zeitgemäße Kriterien für eine rechtssichere Beauftragung von Selbstständigen. Außerdem setzt sich der VGSD für eine gezieltere Missbrauchsbekämpfung ein, ohne dass Vertragsfreiheit und freie Berufsausübung eingeschränkt werden. Tausende Mitunterzeichner binnen weniger Tage zeigen, dass die Forderung bundesweit auf große Unterstützung stößt.
Hintergrund
Das deutsche Sozial- und Arbeitsrecht schützt Arbeitnehmer vor Ausbeutung durch rücksichtslose Arbeitgeber. Diese Schutzvorschriften gelten grundsätzlich auch dann, wenn Auftraggeber mit ihren „freien“ Mitarbeitern keine Arbeitsverträge abschließen, sondern Werk- oder Dienstverträge.
In manchen Branchen (etwa im Transport- und Baugewerbe oder in Schlachthäusern) werden abhängige Arbeitnehmer trotzdem in großer Zahl zu Werkvertrags-Subunternehmern gemacht. Auf diese Weise versuchen Auftraggeber, Sozialversicherungsbeiträge zu sparen und Arbeitsschutzbestimmungen zu umgehen. Dass Vertreter der Bundesregierung sowie der Renten- und Krankenversicherungen in Zukunft vermehrt gegen derartigen Missbrauch vorgehen wollen, ist zweifellos sinnvoll.
Nur treffen die Instrumente gegen die ominöse Scheinselbstständigkeit seit eh und je den falschen Personenkreis: Während z. B. ausländische Hilfskräfte oft unbehelligt durch Werkvertrags-Verhältnisse ausgebeutet werden, finden die Prüfungen der Rentenversicherungsträger mehrheitlich ausgerechnet bei qualifizierten Solo-Selbstständigen statt.
Ob es dabei vorrangig darum geht, die Kassen der gesetzlichen Sozialversicherung zu füllen, sei dahin gestellt. Fakt ist jedoch, dass unter den Überprüfungen viele Freiberufler und Selbstständige leiden, die durchaus in der Lage sind, faire Honorare auszuhandeln und für Flauten, Krankheit und Alter selbst vorzusorgen.
Besonders ärgerlich: Sogar Selbstständige, deren Unternehmereigenschaft völlig unstrittig ist, leiden zunehmend unter dem Scheinselbstständigkeits-Stigma. Denn um drohenden Nach- und Strafzahlungen zu entgehen, verzichten viele Auftraggeber sicherheitshalber von vornherein auf die Zusammenarbeit mit Solo-Selbstständigen und Kleinstunternehmen. Dass der VGSD vor diesem Hintergrund und im Vorlauf der geplanten Gesetzesänderungen mehr Rechtssicherheit für Solo-Selbstständige und deren Auftraggeber einfordert, ist nachvollziehbar und längst überfällig.