Ab Juli 2021 gelten wieder einmal neue Umsatzsteuer-Vorschriften für grenzüberschreitende Privatkunden-Geschäfte in der EU. Das Erfüllen der komplizierten Steuergesetze soll durch nationale Clearingstellen und einheitliche Umsatz-Lieferschwellen zwar vereinfacht werden.
Zunächst einmal wirft die Einführung von „One-Stop-Shops“ jedoch neue Fragen auf und sorgt für bürokratischen Mehraufwand. Auf den folgenden Seiten finden Sie einen Überblick über die anstehenden Änderungen und die kurzfristig erforderlichen Schritte.
Bitte beachten Sie:
Die Informationen dienen nur Ihrer Orientierung. Die Details besprechen Sie am besten mit Ihrem Steuerberater. Der wird Sie auch bei der konkreten Umsetzung und den geänderten Steuererklärungen unterstützen.
Doch der Reihe nach:
Ausgangspunkt: Bestimmungsland-Prinzip
Ein Gespenst geht um in Europas Unternehmen: Das Bestimmungsland-Prinzip besagt, dass bei grenzüberschreitenden Geschäften innerhalb der EU grundsätzlich der Umsatzsteuersatz am Standort des Empfängers gilt.
Weil die Umsatzsteuer von den Verbrauchern getragen wird, ist das Prinzip zwar folgerichtig. Angesichts der nach wie vor unterschiedlichen Steuervorschriften in den einzelnen EU-Ländern führt das jedoch zu einem bürokratischen Riesenaufwand für kleine Selbstständige und Unternehmen.
Bei grenzüberschreitenden B2B-Geschäften gibt es in der EU schon lange Steuerbefreiungen und Vereinfachungen. Deshalb wirkt sich das Bestimmungsland-Prinzip vor allem auf Geschäfte mit Privatleuten aus:
Händler und Dienstleister müssen bei innergemeinschaftlichen B2C-Transaktionen…
- die Vorschriften von bis zu 27 (!) verschiedenen EU-Finanzbehörden beachten,
- ihre steuerpflichtigen Umsätze im jeweiligen Bestimmungsland anmelden und auch
- ihre Umsatzsteuer-Einnahmen dorthin abführen.
Nur für grenzüberschreitende elektronische Dienstleistungen, die per Download oder Stream an Privatleute im EU-Ausland verkauft wurden, gelten bereits seit 2014 Vereinfachungen.
Vom MOSS zum OSS
Diese Umsätze und dazugehörigen Steuereinnahmen können im Inland über sogenannte „Mini-One-Stop-Shops“ (MOSS) ans Bestimmungsland gemeldet und abgeführt werden.
Bitte beachten Sie: „One-Stop-Shops“ gibt es nicht nur im Steuerrecht. Eine OSS-Anlaufstelle verspricht generell einen einheitlichen Ansprechpartner, über den sämtliche erforderlichen Verwaltungsschritte abgewickelt werden können.
Die bisherigen Umsatzsteuer-MOSS gehen künftig in „One-Stop-Shops“ (OSS) auf. Zugleich wird der Geltungsbereich der zugrundeliegenden Umsatzsteuer-Vorschriften erweitert und vereinheitlicht.
Genau genommen gibt es im Zusammenhang mit dem Bestimmungsland-Prinzip eine Ausnahmeregelung und eine Sonderregelung.
Ausnahmeregelung: Einheitlicher Schwellenwert
Ab 1. Juli 2021 gilt für die meisten Geschäfte mit Privatkunden in anderen EU-Ländern ein einheitlicher Schwellenwert von 10.000 Euro:
- Bis zu diesem Netto-Jahresumsatz greift der Umsatzsteuersatz des Landes, in dem der Unternehmer seinen Sitz hat.
- Erst wenn der jährliche Schwellenwert von 10.000 Euro überschritten ist, muss in jedem Einzelfall der Steuersatz des Bestimmungslandes angewandt werden. Die Steuererklärungen können anschließend wahlweise beim den inländischen One-Stop-Shop (s. u.) oder direkt bei den Finanzbehörden des Bestimmungslandes eingereicht werden.
Voraussetzung für die Anwendung des Schwellenwerts: Die erzielten Umsätze stammen aus …
- innergemeinschaftlichen Fernverkäufen von Waren,
- Telekommunikations-, Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen oder aus
- Dienstleistungen, die auf elektronischem Weg erbracht wurden (z. B. E-Book-Downloads, Musik-Streams, Webinaren).
Rechtliche Grundlagen der Ausnahmeregelung sind § 3a Abs. 5 UStG und § 3c UStG.
Vorteil des einheitlichen Schwellenwerts: Kleine und mittlere Unternehmen, bei denen die genannten Jahresumsätze mit Privatleuten im EU-Ausland unter 10.000 Euro liegen, dürfen ihren Kunden der Einfachheit halber den inländischen Umsatzsteuersatz berechnen.
Gemeldet werden die betreffenden Umsätze im Rahmen der üblichen Umsatzsteuervoranmeldungen und Steuererklärungen an das inländische Finanzamt.
Bitte beachten Sie:
- Die 10.000-Euro-Grenze muss sowohl im vorangegangenen Kalenderjahr als auch voraussichtlich im laufenden Jahr unterschritten werden. Zum Zeitpunkt der Einführung des Schwellenwerts werden die betreffenden Umsätze in den Jahren 2020 und 2021 herangezogen.
- Ein freiwilliger Verzicht auf die Anwendung der einheitlichen Lieferschwelle ist möglich. An die Erklärung ist das Unternehmen dann aber zwei Jahre lang gebunden. So lange bleibt es dann bei den direkten Umsatzsteuermeldungen in den Bestimmungsländern.
Sonderregelung: One-Stop-Shop
Wer die Lieferschwelle überschreitet oder freiwillig auf die Anwendung der Ausnahmeregelung verzichtet, muss bei Privatkundengeschäften grundsätzlich die Steuersätze des Bestimmungslandes anwenden. Die betreffenden Umsätze können anschließend in einer separaten Steuererklärung an die „One-Stop-Shop“ genannte zentrale Anlaufstelle im Land des Unternehmenssitzes gemeldet werden. Diese Möglichkeit ergibt sich aus § 18j UStG.
Durch diese Umsatzsteuer-Sonderregelung ersparen sich Händler und Dienstleister die Registrierung in verschiedenen Bestimmungsländern.
In Deutschland ansässige Lieferanten und Dienstleister, die die Sonderregelung in Anspruch nehmen wollen, müssen sich beim Bundeszentralamt für Steuern für das OSS-Verfahren anmelden.
Bitte beachten Sie: Die Vorab-Registrierung beim „One-Stop-Shop“ des Bundeszentralamts ist seit dem 1. April 2021 möglich. Die Registrierung ist freiwillig: Wenn Sie oder Ihr Steuerberater ohnehin mit den Finanzbehörden eines Nachbarlandes zusammenarbeiten, können Sie Ihre Steuerpflichten dort auch weiterhin direkt erfüllen. In grenznahen Regionen ist das kein Ausnahmefall.
One-Stop-Shop: Die Grundlagen
Vorweg: Sowohl die Ausnahmeregelung (einheitliche Lieferschwelle) als auch die OSS-Sonderregelung gelten für grenzüberschreitende Geschäfte mit Privatkunden. Lagert ein deutscher Händler seine Waren in einem anderen EU-Land, fallen auch Umsätze aus Sendungen nach Deutschland unter die OSS-Regelung!
Wichtig: Die vereinfachte Registrierung und Steuermeldung beim OSS-Verfahren ändern nichts daran, dass bei jeder einzelnen Lieferung und Leistung der passende Steuersatz des Bestimmungslandes verwendet werden muss! Bei der summarischen Umsatzsteuermeldung müssen die Umsätze der einzelnen Steuersätze ebenfalls korrekt einfließen.
Auf Ausgangsrechnungen lediglich fehlerhaft ausgewiesene Steuersätze ziehen hingegen keine Sanktionen nach sich: Privatleute sind ja nicht vorsteuerabzugsberechtigt. Außerdem sieht das Umsatzsteuerrecht standardmäßig gar keine Rechnungspflicht an Verbraucher vor.
Bei Geschäften mit Unternehmern in anderen EU-Ländern bleibt ebenfalls alles beim Alten: Sofern Ihre dortigen Geschäftskunden über eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verfügen, dürfen Sie weiterhin umsatzsteuerfreie Rechnungen stellen.
Für die OSS-Sonderregelung gilt:
- Falls Sie die OSS-Sonderregelung pünktlich zur Einführung am 1. Juli in Anspruch nehmen wollen, müssen Sie sich spätestens bis 30. Juni 2021 beim Bundeszentralamt für Steuern registrieren (s.u.)
- Besteuerungszeitraum ist das Quartal. Die elektronischen Steuererklärungen sind bis zum 20. Tag nach Ablauf des Besteuerungszeitraums zu übermitteln. Erster OSS-Melde- und Zahlungstermin ist demnach der 20. Oktober 2021 (für das dritte Quartal 2021). Die Termine für die folgenden Vierteljahre sind der 20. Januar, 20. April sowie der 20. Juli 2022.
- Die Überweisung der Steuerbeträge muss jeweils unaufgefordert spätestens ein Monat nach Ende des Meldequartals erfolgen. Lastschrift-Mandate ermöglicht das Bundeszentralamts für Steuern bislang nicht.
- Das Bundeszentralamt informiert die jeweiligen EU-Staaten über die gemeldeten Umsätze und verteilt die vereinnahmte Umsatzsteuer entsprechend. Umgekehrt bekommen die deutschen Finanzbehörden von den Meldestellen der anderen EU-Länder die Informationen und Steuereinnahmen aus Umsätzen mit deutschen Endverbrauchern.
Die drei OSS Verfahren auf einen Blick:
Ob dieses Verfahren auch für Sie und Ihre Unternehmung Relevanz hat, können Sie anhand der nachstehend bereitgestellten Infografiken überprüfen.
1. Unternehmen: Sitz in Deutschland mit Warenlager in Deutschland oder in einem EU-Land
2. Unternehmen: Sitz in Deutschland mit Warenlager in Drittland außerhalb der EU
3. Unternehmen: Sitz in Deutschland, Umsätze kommen aus MOSS-Telekommunikations-, Rundfunk-, Fernseh- oder elektronischer Dienstleistungen
OSS-Praxis: Elster-Freischaltung – BOP-Login – OSS-Registrierung
Vorweg: Wer bereits das Vorgängerverfahren Mini-One-Stop-Shop (MOSS) nutzt, wird vom Bundeszentralamt für Steuern automatisch für das OSS-Verfahren freigeschaltet. Alle anderen Unternehmen registrieren sich bei Bedarf beim BZSt-Onlineportal (BOP) neu.
Bitte beachten Sie: Zur Identifikation kann das Elster-Zertifikat genutzt werden, das viele Unternehmen bereits bei ihren laufenden Voranmeldungen und Steuererklärungen nutzen. Bevor Sie Ihr Elster-Zertifikat für die BOP-Registrierung und -Anmeldung verwenden können, müssen Sie es allerdings einmalig im ElsterOnline-Portal freischalten.
Elster-Zertifikat freischalten
Dazu …
- rufen Sie das ElsterOnline-Portal auf,
- loggen sich mit ihrem Zertifikat und der dazugehörigen PIN ein,
- klicken in der Navigationsleiste auf „Mein Benutzerkonto“ und dann auf den Button „Andere eGovernment-Dienste freischalten“.
Anschließend aktivieren Sie die Option „Ich möchte mein ELSTER-Zertifikat für andere eGovernment-Dienste nutzen“ und klicken auf „Weiter“.
BOP-Login
Das war’s auch schon: Nun können Sie sich mit Ihrer Elster-Signatur beim BZSt-Onlineportal (BOP) einloggen.
Bitte beachten Sie: Statt wie hier dargestellt via Browser (mit Zertifikatsdatei und PIN) ist das BOP-Login auch mit …
- einem elektronischen Personalausweis,
- per Smartphone-App,
- Sicherheits-Stick und
- Sicherheitskarte möglich.
Einzelheiten zu den verschiedenen Login-Möglichkeiten finden Sie in der ElsterOnline-Hilfe (im Abschnitt „Registrierung“).
OSS-Registrierung
So oder so: Nach dem BOP-Login klicken Sie …
- in der Navigationsleiste zunächst auf „Formulare & Leistungen“,
- dann auf „Alle Formulare“ und schließlich
- im Abschnitt „Steuer-International“ auf „One-Stop-Shop (OSS) für in der EU ansässige Unternehmer – EU-Regelung (vormals Mini-One-Stop-Shop)“.
Anschließend landen Sie nach einem Mausklick auf „Weiter“ im Register „Eingeben“. Dort machen Sie auf der Startseite und den folgenden fünf Seiten die erforderlichen Angaben (u.a. Steuernummer, Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, Kommunikationsdaten, Bankverbindung sowie der gewünschte Registrierungsbeginn.
Zuletzt landen Sie im Register „Prüfen der Eingaben“: Sofern alle Angaben stimmen, sorgen Sie per Mausklick auf „Weiter“ für das „Versenden des Formulars“. Damit haben Sie die Voraussetzungen für Umsatzsteuer-Meldungen über den One-Stop-Shop erfüllt.
Ihre eigentlichen Umsatzmeldungen („Steuererklärungen im One-Stop-Shop-Verfahren“) übermitteln Sie dann ab Oktober 2021 ebenfalls über das BOP-Portal.
Bitte beachten Sie:
- OSS-Meldungen müssen Sie auch dann abgeben, wenn Sie im vorangegangenen Vierteljahr keine meldepflichtigen Umsätze gemacht haben (sogenannte „Nullmeldung“)!
- Falls Sie also (noch) keine grenzüberschreitenden Lieferungen und Leistungen an Privatpersonen erbringen, verzichten Sie vorläufig am besten auf die Registrierung. Wenn’s so weit ist, können Sie das dann immer noch nachholen!
Und nicht vergessen: Sämtliche Steuerfragen rund um grenzüberschreitende Geschäfte besprechen Sie am besten mit einem Steuerberater, der oder die sich mit dem EU-Steuerrecht auskennt. „Versuch und Irrtum“ kann vor allem im internationalen Steuerrecht ausgesprochen teuer werden!
Weiterführende Informationen:
- Rechtsgrundlage der One-Stop-Shop-Sonderregelung ist 18j UStG.
- Rechtsgrundlagen der Lieferschwellen-Ausnahmeregelung sind 3a Abs. 5 UStG und § 3c UStG.
- Für welche Warenlieferungen und Dienstleistungen die Ausnahmeregelung im Einzelnen gilt, entnehmen Sie den Abschnitten 3a. und 3c. des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses.
- Differenzierte Informationen zu den Mehrwertsteuer-Sätzen in den verschiedenen Mitgliedsländern finden Sie auf der EU-Website (englischsprachiges PDF, 2,57 MB – die deutschsprachige Fassung ist derzeit nicht verfügbar).
- Eine umfangreiche Fragen- und Antwortsammlung zum Thema One-Stop-Shops gibt es beim Bundeszentralamt für Steuern.
Noch Fragen?
Weitere Informationen rund um das Thema Umsatzsteuer, Mehrwertsteuer und Vorsteuer finden Sie im MeinBüro-Blog. Hier ein paar Beispiele:
- Was es mit der Umsatzsteuer auf sich hat und wie das Verfahren funktioniert, erfahren Sie in der Umsatzsteuer-Übersicht.
- Das ist ja einfach: So erfüllen Sie Ihre Steuerpflichten mit WISO MeinBüro
- Mit WISO MeinBüro per Mausklick zur Umsatzsteuer-Voranmeldung!
- Umsatzsteuer-Voranmeldung: So beantragen Sie die Dauerfristverlängerung
- Moment mal: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Ist- und Soll-Besteuerung?
- Trotz „Ist-Besteuerung“: Vorsteuer aus unbezahlten Rechnungen erstatten lassen!
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