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Reverse Charge bei der Umsatzsteuer – aber die USt-IdNr. des Kunden fehlt?

Grenzüberschreitende B2B-Dienstleistungen innerhalb der EU sind ein typischer Fall von umgekehrter Umsatzsteuerschuld: beim Reverse-Charge-Verfahren ist es Sache des Kunden, sich um die Umsatzsteuer zu kümmern. Das ist steuerrechtlich komplex, doch in Praxis meist kein Problem. Fehlt jedoch die USt-IdNr. des Leistungsempfängers, wird es für Dienstleister kompliziert. Selbst dann darf das Finanzamt aber nicht einfach Umsatzsteuer nachfordern. Das hat der Bundesfinanzhof bestätigt.

Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers: es ist kompliziert

In bestimmten Fällen trägt bei Geschäften zwischen Unternehmen der Kunde die Umsatzsteuerlast. Das nennt man Reverse-Charge-Verfahren, Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers oder Umkehrung der Umsatzsteuerlast. Es gilt zum Beispiel bei bestimmten grenzüberschreitenden Dienstleistungen zwischen Selbstständigen.

Umkehrung bedeutet: der Kunde oder Auftraggeber muss die Umsatzsteuer abführen. Wenn er umsatzsteuerpflichtig und kein Kleinunternehmer ist, darf er sie allerdings gleichzeitig als Vorsteuer wieder abziehen. Bei einem vorsteuerabzugsberechtigten Rechnungsempfänger beschränkt sich das Reverse-Charge-Verfahren somit auf zwei zusätzliche Eintragungen in der Umsatzsteuer-Voranmeldung, ohne zusätzliche Zahlung ans Finanzamt.

Für Dienstleister ist das Reverse-Charge-Verfahren eine Erleichterung: sie dürfen eine Netto-Rechnung ausstellen, ohne sich weiter um die Umsatzsteuer zu kümmern. Allerdings führt es häufig zu Zweifelsfällen.

Wann gilt Reverse Charge?

Eine wichtige Voraussetzungen haben wir bereits erwähnt: der Umsatz muss grundsätzlich zwischen zwei Unternehmen beziehungsweise Selbstständigen erfolgen. Die genauen Regelungen zur Umkehrung der Umsatzsteuerlast sind sehr kompliziert: im Zweifel sollte man die Rechtslage stets mit einem Steuerberater oder einer Steuerberaterin klären.

Entscheidend ist der § 13b UStG, der festlegt, dass in bestimmten Fällen der „Leistungsempfänger“ die Umsatzsteuer schuldet. Das gilt zum Beispiel für

  • Dienstleistungen, wenn der Dienstleister Unternehmer ist, seinen Sitz im EU-Ausland hat und der Ort der Dienstleistung für die Umsatzsteuer beim Kunden in Deutschland liegt. Das ist gemäß 3a Abs. 2 UStG bei Dienstleistungen zwischen Unternehmen der Regelfall, es gibt jedoch Ausnahmen wie grundstücksbezogene Dienstleistungen oder Dienstleistungen im Bereich von Kultur und Entertainment.
  • Werklieferungen durch ein Unternehmen in einem Drittland außerhalb der EU an ein Unternehmen in Deutschland
  • Grundstücksgeschäfte, die unter das Grunderwerbssteuergesetz fallen
  • Emissionshandel
  • Gebäudereinigungsleistungen an ein anderes Gebäudereinigungsunternehmen sowie Bauleistungen an ein anderes Bauunternehmen
  • die Lieferung von diversen Metallschrotten und Edelmetallen

Bei Umkehrung der Steuerlast darf der Dienstleister in seiner Rechnung keine Umsatzsteuer ausweisen. Stattdessen muss er eine Netto-Rechnung mit einem entsprechenden Hinweis erstellen, z. B. „Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers“ oder „Wechsel der Steuerschuldnerschaft gemäß Reverse-Charge-Verfahren (§ 13b UStG)“. Außerdem sollte die Rechnung die (gültigen!) Umsatzsteuer-Identifikationsnummern sowohl des Dienstleisters als auch des Kunden nennen.

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Reverse Charge, aber die USt-IdNr. liegt nicht vor? Dann wird es noch komplizierter

Immer wieder kommt es dazu, dass der Auftraggeber zwar offensichtlich ein Unternehmen betreibt und die Dienstleistung dafür nutzt, der Kunde die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.) jedoch nicht kennt. Das führt zu einer schwierigen Lage:

  • Stellt der Auftragnehmer für seine Dienstleistung trotz fehlender USt-IdNr. des Kunden eine Reverse-Charge-Rechnung aus, sind Probleme zu befürchten, falls das Finanzamt genauer hinschaut. Oft bezweifeln Prüfer in solchen Fällen den Unternehmerstatus des Kunden und damit die Berechtigung für die Übertragung der Umsatzsteuerpflicht. Die Folge ist ein geänderter Steuerbescheid mit Umsatzsteuernachzahlungen.
  • Keine Patentlösung ist es, einfach eine reguläre Rechnung mit Umsatzsteuer zu erstellen. Lagen die Reverse-Charge-Voraussetzungen vor, wurde die Umsatzsteuer unberechtigt ausgewiesen. Und in solchen Fällen schuldet der Aussteller dem Finanzamt den ausgewiesenen Umsatzsteueranteil, andererseits darf der Rechnungsempfänger ihn nicht als Vorsteuer abziehen. Da er das nicht weiß, wird er trotzdem Vorsteuer geltend machen – bis das Finanzamt darauf aufmerksam wird und das Geld wieder zurückfordert.

Das Problem wird dadurch verschärft, dass viele Finanzämter beziehungsweise Betriebsprüfer sich bei grenzüberschreitenden Rechnungen auf die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer fokussieren. Liegt diese nicht vor oder ist sie nicht gültig wird schnell die Unternehmereigenschaft des Rechnungsempfängers bestritten. Dann drohen Umsatzsteuer-Nachforderungen an den Aussteller.

Reverse-Charge-Rechnungen einer großen E-Commerce-Plattform

So erging es auch einer bekannten E-Commerce-Plattform mit einem Markennamen aus bunten Buchstaben. Sie hatte ihren Sitz ursprünglich im EU-Ausland, bis sie ihn 2018 nach Deutschland verlegte. Die Plattform bietet sowohl Privatleuten als auch Unternehmen eine Handelsplattform für Verkäufe. Nutzer geben bei der Anmeldung zu der Plattform an, ob sie als Privatperson oder als Unternehmen handeln. Von Unternehmen wird neben weiteren Stammdaten auch die USt-IdNr. abgefragt. Die Nutzung ist aber auch ohne ihre Angabe möglich.

Für die Nutzung verlangt die Plattform Gebühren, die in erster Linie von den bei Verkäufen erzielten Umsätzen abhängen. Diese Gebühren stellte die Plattform ihren Kunden in Rechnung, lange Zeit von ihrem Sitz in Luxemburg aus.  Der umsatzsteuerlicher Ort der Leistung lag bei deutschen Kunden jedoch in Deutschland. Deshalb war die Plattform beim für Luxemburg zuständigen Finanzamt Saarbrücken registriert.

Als gewerbliche Händler, aber ohne gültige USt-IdNr. registrierte Plattform-Nutzer erhielten zunächst Rechnungen mit Umsatzsteuer. Dann stellte die Plattform um: Selbst ohne bzw. ohne gültige USt-IdNr. wurde eine Reverse-Charge-Rechnung ausgestellt, wenn die betreffenden Selbstständigen oder Unternehmen einen gewerblichen „Shop“ auf der Plattform gebucht hatten, eine bestimmte Mindestzahl an Verkäufen getätigt oder ihre Umsätze und damit Gebühren eine bestimmten Höhe erreicht waren. Das genügte der Plattform, um von einem Unternehmenskunden auszugehen.

Diese Praxis wurde vom Finanzamt bei einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung moniert. Nur Kunden mit gültiger USt-IdNr. dürften als Unternehmer behandelt werden. Die Beamten forderte die von der Plattform in solchen Fällen nicht berechnete Umsatzsteuer nach. Das E-Commerce-Unternehmen ging dagegen vor Gericht. Schließlich musste der Bundesfinanzhof entscheiden.

BFH: Unternehmereigenschaft und damit Reverse Charge sind auch ohne USt-IdNr. möglich

Die Richter am Bundesfinanzhof stellten zwar fest, dass es die Aufgabe des Rechnungsausstellers ist, bei Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers diesen zu identifizieren und seine Unternehmereigenschaft festzustellen. Doch die Verwendung einer gültigen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ist keine Voraussetzung dafür, dass der Leistungsempfänger Unternehmer ist. Darum ist eine Reverse-Charge-Rechnung nicht schon deshalb ungültig, weil eine USt-IdNr. des Empfängers fehlt.

Vielmehr müssen in solchen Fällen das Finanzamt und gegebenenfalls auch das Finanzgericht prüfen, ob die vom Rechnungsaussteller bereitgestellten Informationen ausreichen, um Identität und Unternehmereigenschaft des Rechnungsempfängers festzustellen.  Nur wenn dies nicht möglich ist, darf die Finanzverwaltung davon ausgehen, dass die Kunden keine Unternehmer sind und die Reverse-Charge-Rechnung damit unberechtigt ist (BFH, 31.01.2024 – V R 20/21).

Trotzdem: die USt-IdNr. ist der sicherste Weg

  • Das Urteil ist hilfreich, wenn das Finanzamt nach einer Umsatzsteuerprüfung fehlende oder ungültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummern auf Reverse-Charge-Rechnungen beanstandet. Das allein genügt nicht für Steuernachforderungen: die Behörden müssen im Rahmen des Möglichen prüfen, ob der Rechnungsadressat ermittelbar und Unternehmer ist.
  • Trotzdem tun Selbstständige gut daran, wo immer möglich die USt-IdNr. von Kunden einzuholen und die Angabe zu prüfen. MeinBüro-Nutzer können die Nummer direkt aus dem Programm heraus prüfen. Ansonsten bietet das Bundeszentralamt für Steuern ein USt-IdNr.-Bestätigungsformular
  • Selbstständige, die Online-Marktplätze sowie E-Commerce- und Dienstleistungsplattformen mit Sitz im EU-Ausland nutzen, sollten sich dort unbedingt mit korrekter eigener Umsatzsteuer-Identifikationsnummer registrieren. Schlampereien können zu Zusatzkosten in Form von Umsatzsteuer führen, die nicht als Vorsteuer geltend gemacht werden darf. Das gilt auch für deutschsprachige und auf Deutschland ausgerichtete Plattformen, deren Sitz im Ausland liegt, wie zum Beispiel Amazon (Luxemburg), Etsy (Irland) oder Google (Irland).
  • Wer als Selbstständiger Dienstleistungen wie Programmierung, Übersetzungen oder Webdesign aus dem Ausland bezieht, der sollte auf die Rechnung achten. Wenn für das Geschäft Reverse Charge gilt, die Rechnung aber die (ausländische) VAT oder deutsche Umsatzsteuer ausweist, dann darf diese nicht in Deutschland als Vorsteuer geltend gemacht werden.

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