Ob der Ort ihrer Arbeit bei Selbstständigen als Betriebsstätte zählt, entscheidet zum Beispiel über die Fahrtkosten, die sie steuerlich geltend machen können. Für die Fahrt zu einer Betriebsstätte darf nur die Entfernungspauschale angesetzt werden. Für die Fahrt zu anderen Einsatz-Orten ist die deutlich vorteilhaftere Kilometerpauschale möglich.
Nun gibt es Differenzen zwischen der Steuerverwaltung und einem Finanzgericht. Es geht um die Frage, wann der Arbeitsort zur Betriebsstätte wird. Das betrifft zum Beispiel Einsätze am Kundenstandort.
Beispiel: IT-Experte Mustermann – eine, keine oder mehrere Betriebsstätten?
Die Regelungen im Einkommensteuerrecht zur Betriebsstätte sind kompliziert. Die praktischen Auswirkungen lassen sich am besten an einem Beispiel deutlich machen.
Angenommen, Marvin Mustermann ist selbstständiger IT-Experte. Er betreut bei seinen Kunden die Einführung bestimmter Software-Systeme und ihre passgenaue Integration mit der restlichen IT. Deshalb arbeitet er oft bei ihnen vor Ort. Für Fahrten nutzt er seinen privaten Pkw. Ob und wenn ja, wo seine Betriebsstätte liegt, hängt von verschiedenen Gesichtspunkten ab.
- Falls Marvin Mustermann ein eigenes Büro als Firmensitz hat, dort regelmäßig seinen Arbeitstag beginnt, größtenteils dort arbeitet und meist von dort aus zu den Kunden aufbricht, dann liegt dort seine Betriebsstätte.
Damit kann er pro Arbeitstag, an dem er ins Büro fährt, die Entfernungspauschale geltend machen: jeweils 0,30 Euro für die ersten 20 Kilometer. Falls die Distanz zwischen Wohnung und Büro größer ist, sind es ab dem 21. Kilometer 0,38 Euro. Entfernungspauschale bedeutet: Die Distanz zwischen Wohnung und Büro zählt, d. h. der einfache Weg, nicht Hin- und Rückweg. Dass Marvin Mustermann abends wieder nach Hause fahren muss, ändert daran nichts.
Dagegen gilt in diesem Fall jede Fahrt zum Kunden als Auswärtstätigkeit. Dabei ist gleichgültig, ob Marvin Mustermann von zu Hause oder vom Büro aus startet: Er darf für jeden in seinem Privat-Pkw zurückgelegten Kilometer 0,30 Euro als Betriebsausgaben ansetzen. Sie vermindern seinen steuerlichen Gewinn und damit die Einkommensteuer-Last. Natürlich gilt das auch für andere betrieblich veranlasste Fahrten, etwa zu einer Präsenzfortbildung oder zum Rechtsanwalt.
Ein weiterer Vorteil: Fahrtnebenkosten wie Parkhausgebühren darf er ebenfalls als Betriebsausgaben buchen. Außerdem kann Marvin Mustermann Verpflegungsmehraufwendungen geltend machen, wenn die Auswärtstätigkeit einschließlich Fahrt mehr als acht Stunden dauert. (Mehr dazu steht im Beitrag „Wie werden geschäftliche Reisekosten abgerechnet?“).
- Hat Marvin Mustermann keine Geschäftsräume und stattdessen seine Wohnadresse als Sitz des Unternehmens angegeben, dann besitzt er in der Regel keine Betriebsstätte: Heimbüros, ob als Arbeitsecke im Wohnzimmer oder steuerlich anerkanntes häusliches Arbeitszimmer, stellen laut Bundesfinanzhof keine Betriebsstätte dar. Es gibt zwar häusliche Betriebsstätten. Sie setzten aber von der Wohnung getrennte, eigene Räumlichkeiten mit separatem, öffentlichen Zugang voraus (BFH, 13.05.2015 – III R 59/13). Eine häusliche Betriebsstätte hätte Marvin Mustermann etwa dann, wenn er im oberen Stock seines Hauses lebt, und im unteren seine Geschäftsräume mit Zugang zur Straße eingerichtet hat.Ohne Betriebstätte kann unser IT-Experte für jeden Tag, den er vor Ort beim Kunden verbringt, die zurückgelegten Kilometer mit der Fahrtkostenpauschale ansetzen und gegebenenfalls weitere Reisekosten geltend machen.
- Interessant wird es bei einem dritten Fall. Angenommen, Marvin Mustermann betreibt seine Selbstständigkeit vom Homeoffice aus. Da seine Einsätze viel Zeit und direkte Tätigkeit vor Ort erfordern, ist er oft auf Monate oder viele Tage nacheinander bei einem Kunden in dessen Unternehmensräumen tätig. Vielleicht hat er auch zwei oder drei Kunden, zwischen deren Standorten er wechselt.In diesem Fall stellt sich die Frage, ob eine oder gar mehrere Betriebsstätten von Marvin Mustermann bei seinen Kunden liegen. Es ist nicht erforderlich, dass er selbst Eigentümer oder Mieter der Betriebsstätte ist, solange er dort arbeitet. Betriebsstätten können auch unter freiem Himmel liegen, etwa im Fall von Baustellen, oder sogar im öffentlichen Raum.
Die Finanzverwaltung sagt: Betriebsstätten werden wie Tätigkeitsstätten bestimmt
In unklaren Fällen, so lautet seit Jahren die Position der Finanzämter, gelten für die Bestimmung der Betriebsstätte von Selbstständigen die Kriterien, die das Gesetz für die „erste Tätigkeitsstätte“ von Arbeitnehmern vorschreibt (§ 9 Abs. 4 EStG). Diese lauten:
- Es liegt eine „ortsfeste betriebliche Einrichtung“ vor, entweder beim Arbeitgeber oder einem von ihm bestimmten Dritten, z. B. bei einem Kunden des Arbeitgebers.
- Der Arbeitnehmer ist dieser Einrichtung „dauerhaft zugeordnet“, entweder weil das im Arbeitsvertrag steht oder durch Anweisung des Arbeitgebers.
- Als dauerhaft gilt eine unbefristete Zuordnung, eine Zuordnung für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses oder die Zuordnung für mindestens 48 Monate.
- Ergibt sich keine Zuordnung aus dem Arbeitsvertrag oder den Anweisungen des Arbeitgebers, zählt die „betriebliche Einrichtung“ als erste Tätigkeitsstätte, an der ein Arbeitnehmer typischerweise jeden Tag arbeitet.
- Es genügt auch, wenn er dort pro Woche zwei volle Arbeitstage arbeitet oder ein Drittel seiner Gesamtarbeitszeit zubringt.
- Wichtig: Arbeitnehmer haben immer nur eine erste Tätigkeitsstätte. Gibt es mehrere Einsatzorte, die die Kriterien erfüllen, zählt diejenige, die der Wohnung am nächsten liegt.
Genau diese Kriterien hat die Finanzverwaltung vor Jahren auch auf die Betriebsstättenbestimmung von Selbstständigen angewandt (BMF-Schreiben vom 24. Oktober 2014). Doch auf sicherem juristischem Grund befindet sie sich damit nicht. Schließlich lassen sich auf Arbeitsverhältnisse gemünzte Kriterien nicht einfach auf selbstständige Auftragsverhältnisse übertragen. Die Verwaltungspraxis wurde nun vor kurzem auch vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz moniert.
Eine Betriebsstätte beim Kunden? Der IT-Berater klagt dagegen
Die Klage drehte sich um einen – diesmal real existierenden – selbstständigen IT-Berater, der fast zwei Jahre lang regelmäßig vier Tage pro Woche bei einem Kunden gearbeitet hatte. Ansonsten war er von zu Hause aus tätig. Andere Kunden hatte er in der Zeit nicht.
In seiner Steuererklärung behandelte er die Arbeit beim Kunden als Auswärtstätigkeiten. Neben den Fahrtkosten ging es dabei auch um Verpflegungsmehraufwand. Die vom IT-Berater angesetzten Betriebsausgaben wurden vom Finanzamt nach einer Betriebsprüfung gekürzt. Der Prüfer ordnete den Unternehmenssitz des Kunden als Betriebsstätte des freien IT-Experten ein. Der klagte gegen den neuen Bescheid.
Das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz dürfte keine der beiden Seiten zufriedengestellt haben. Das Gericht sah zwar ebenfalls eine Betriebsstätte des IT-Beraters am Kundenstandort. Deshalb war die Kürzung der Betriebsausgaben rechtens. Allerdings stellte es gleichzeitig und ausdrücklich die langjährige Beurteilungspraxis der Finanzbehörden infrage. Für die Betriebsstätte war dem Urteil zufolge keine „dauerhafte Zuordnung“ ausschlaggebend. Als Selbstständiger war er diesem Arbeitsort nicht „zugeordnet“. Der Vertrag mit dem Kunden stellte ihm nur frei, dort zu arbeiten. Und das hatte er auch getan.
Deshalb, so das Gericht, hatte er beim Kunden seine Betriebsstätte etabliert: „eine ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung“, die er „nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit“ aufsuchte, nämlich an vier Tagen pro Wochen (FG Rheinland-Pfalz, 19.06.2024 – 1 K 1219/21). Jetzt liegt der Fall zur Revision beim Bundesfinanzhof.
Und was bedeutet das praktisch?
Ändert sich nun etwas bei der steuerlichen Festlegung von Betriebsstätten von Selbstständigen und damit für den Betriebskostenabzug zum Beispiel für regelmäßige Fahrten zum Kunden? Das hängt davon ab, ob der Bundesfinanzhof die Vorlage der Vorinstanz aufnimmt, die Praxis der Finanzverwaltung kippt und neue Kriterien herausarbeitet. In diesem Fall könnten Gesichtspunkte wie „pro Woche zwei volle Arbeitstage oder ein Drittel der Gesamtarbeitszeit dort tätig“ nicht mehr entscheidend sein. Doch das bleibt abzuwarten.
Ob und wie Selbstständige durch die Festlegung von Betriebsstätten die Steuern senken können, ist in jedem Fall eine Frage, die Sie am besten mit Ihrem Steuerberater besprechen.
Anmerkung 1: Es geht auch um die doppelte Haushaltführung
Neben der Abrechnung der Fahrtkosten betrifft die Frage der Betriebsstätte auch eine mögliche doppelte Haushaltsführung. Selbstständige, die ihren Hauptwohnsitz weit entfernt von ihrer Betriebsstätte haben und deshalb in deren Nähe eine Zweitwohnung nehmen, können die Kosten dafür bis zu bestimmten Grenzen und unter gewissen Voraussetzungen als beruflich veranlasst absetzen (§ 4 Abs. 5 Nr. 6a EStG in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG). Das setzt jedoch voraus, dass der Einsatzort in der Nähe der Zweitwohnung als Betriebsstätte anerkannt wird.
Anmerkung 2: Tatsächliche Kosten statt Kilometer-Pauschale bei Geschäftsfahrten mit dem Privat-PKW
Die 0,30 Euro pro gefahrenem Kilometer der Kilometerpauschale sind deutlich interessanter als die 0,30 Euro beziehungsweise 0,38 Euro der Entfernungspauschale. Doch es geht noch besser: Wer sich die Mühe macht und die tatsächlichen Fahrzeug- bzw. Fahrtkosten ermittelt, darf diese geltend machen. Mehr dazu steht im Beitrag “Vollkosten-Abrechnung statt magerer 30-Cent-Pauschale“.