Bestimmte Unternehmen sind am Ende des Geschäftsjahrs zu einer Inventur verpflichtet. Ziel ist die genaue Bestandsaufnahme des Betriebsvermögens. Soweit sich die Werte nicht aus den Büchern ergeben, werden Waren, Produkte und Investitionsgüter gezählt, gewogen oder gemessen. Eine Inventur kann viel Aufwand und eine ärgerliche Unterbrechung des Betriebs bedeuten. Moderne Geschäftssoftware begrenzt den Arbeits- und Zeitaufwand.
„Wegen Inventur geschlossen“ – was steckt dahinter?
Einmal im Jahr müssen Unternehmen für die Steuer einen Jahresabschluss machen. Für bestimmte Unternehmen ist dazu eine Inventur notwendig.
„Inventur“ nennt man die Bestandsaufnahme, durch die ein „Inventar“ erstellt wird. So bezeichnet das Handelsgesetzbuch die genaue Aufstellung des gesamten Betriebsvermögens eines Unternehmens (§ 240 HGB). Bei der Inventur sind sämtliche Vermögensgegenstände zu ermitteln und zu bewerten, ebenso die Bargeld- und Konto-Bestände und sämtliche Forderungen, die gegen das Unternehmen bestehen.
Viele der für das Inventar erforderlichen Beträge und Zahlen ergeben sich aus den Unterlagen der Buchführung. Anderes muss gezählt, gemessen, gewogen oder geschätzt werden. Das betrifft grundsätzlich auch die Warenbestände im Einzelhandel. Deshalb findet man rund um Sylvester noch immer an vielen Ladentüren den Hinweis „Wegen Inventur geschlossen“.
Allerdings werden solche Schilder seltener. Das liegt daran, dass sich die Betriebsunterbrechung zu Inventurzwecken deutlich verringern oder sogar ganz vermeiden lässt. Voraussetzung ist eine gut geführte Buchhaltung samt Warenwirtschaft (ERP). Außerdem sollte man die Alternativen zur klassischen „Zähl- und Wiege-Inventur“ kennen.
Wer muss Inventur machen?
Zur Inventur verpflichtet sind alle Unternehmen und Selbstständigen, die doppelte Buchführung betreiben und eine Bilanz erstellen müssen:
- Kapitalgesellschaften wie eine GmbH oder eine UG (haftungsbeschränkt)
- Personengesellschaften wie die OHG oder KG
- eingetragene Kaufleute
- Selbstständige und andere Unternehmen wie die GbR, wenn sie einen „in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordern“, das ist spätestens ab 80.000 Euro Gewinn oder 800.000 Euro Umsatz im Jahr der Fall.
Entscheidend sind also Unternehmensgröße und Rechtsform. Selbstständige und Unternehmen, die nur eine Einnahme-Überschuss-Rechnung erstellen müssen, sind von der Inventurpflicht befreit. Dazu gehören sämtliche freiberufliche Selbstständige.
Rechtliche Grundlage der Inventurpflicht ist § 240 HGB in Verbindung mit § 141 AO.
Wann und wie oft muss die Inventur gemacht werden?
- Ein vollständiges Inventar muss bei Gründung oder Übernahme des Unternehmens erstellt werden. Das Gleiche gilt bei Schließung, Verkauf oder Übergabe und bei einem Rechtsformwechsel.
- Außerdem verlangt das Handelsgesetzbuch und damit auch das Steuerrecht, das am Ende jedes Geschäftsjahrs eine Inventur erfolgt. Das Geschäftsjahr fällt für die meisten Unternehmen mit dem Kalenderjahr zusammen.
- Vorgeschrieben ist nur die zeitnahe Stichtagsinventur, nicht der allerletzte Tag des Geschäftsjahrs. Die Bestandsaufnahme darf bis zu zehn Tage davor und danach stattfinden. Das ergibt 21 Tage als Zeitraum, um den Inventur-Stichtag zu wählen, beispielsweise vom 21. Dezember bis zum 10. Januar.
Inventurmethoden: Buchinventur und körperliche Inventur
Der Begriff der „Vermögensgegenstände“, die für das Inventar erfasst werden, bezieht sich im Handelsrecht nicht nur auf Dingen zum Anfassen. Auch immaterielle Werte wie Rechte oder Forderungen fallen darunter, genau wie Immobilien und liquide Mittel.
Zur Inventur gibt es zwei unterschiedliche methodische Ansätze. Welcher von beiden passt, hängt von den jeweiligen Vermögenswerten und von der betrieblichen Organisation ab:
- Die körperliche Inventur besteht darin, physisch vorhandene Dinge durch Scannen, Zählen, Wiegen oder Messen zu erfassen. Im Einzelhandel werden dann zum Beispiel die verschiedenen Produkte gezählt, die sich in den Verkaufsräumen und Warenlagern befinden.
- Das alternative Vorgehen nennt man Buchinventur. Damit werden immaterielle Vermögenswerte sowie Forderungen registriert, die sich nicht zählen oder ausmessen lassen. Beispiele dafür sind Kredite oder Lizenzrechte. Solche Vermögenswerte sind in den Büchern erfasst, die benötigten Zahlen können von dort übernommen werden.
Bei anderen Dingen ist das physische Zählen zwar möglich, aber überflüssig, weil sich die Zahlen ebenfalls aus der Buchhaltung ergeben. Ein Beispiel sind Maschinen oder Fahrzeuge. Ihr Bestand ergibt sich normalerweise aus Anlageverzeichnissen, der Wert unter Berücksichtigung der Abschreibung aus dem Rechnungswesen.
Vereinfachte Inventurverfahren
Das Handelsgesetz sieht zusätzliche Möglichkeiten vor, um den Unternehmen die Inventurpraxis zu erleichtern.
- Bei der Stichprobeninventur wird nur eine Stichprobe des Gesamtbestandes an Waren, Rohstoffen etc. gezählt oder gemessen. Das Ergebnis wird „mithilfe anerkannter mathematisch-statistischer Methoden“ hochgerechnet. So kann zum Beispiel die Lagermenge an Waren für eine bestimmte Fläche exakt ermittelt und auf die Gesamtlagerfläche des Unternehmens extrapoliert werden. Die Stichproben-Methode ist nur zulässig, wenn sie genauso aussagekräftige Ergebnisse liefert wie eine körperliche Bestandsaufnahme.
- Außerdem kann der Stichtag der Bestandsaufnahme verschoben werden, und zwar auf einen Tag in den drei Monaten vor Ablauf des Geschäftsjahrs oder in die zwei Monate danach.
- Schließlich kann auch eine permanente Inventur zulässig sein. Dabei wird die körperliche Bestandsaufnahme soweit erforderlich zu einem selbst gewählten Stichtag durchgeführt. Danach werden die Zahlen und Beträge fortlaufend gemäß der Bestandsbuchhaltung oder Warenwirtschaft fortgeführt.
Stichprobeninventur, die Verschiebung des Inventur-Stichtags und permanente Inventur müssen vom Finanzamt genehmigt werden.
Körperliche Erfassung bringt Transparenz
Bei Stichproben- und laufender Inventur besteht wie bei der Buchinventur das Problem, das Über- und Fehlbestände nicht offengelegt werden. Ein Vorteil der körperlichen Inventur liegt darin, dass sie Diskrepanzen aufdeckt, die durch Diebstahl, Dokumentations- und Übermittlungsfehler oder Beschädigungen entstehen.
Deshalb ist es möglicherweise trotz des größeren Aufwands sinnvoll, Dinge körperlich nachzuzählen: in der Warenwirtschaft mengenmäßig erfasste Produktvorräte, in den Büchern verzeichnete Anlagegüter wie Maschinen und Werkzeuge oder auch Kassenbestände. Nicht selten ergeben sich überraschende Abweichungen.
Was muss gezählt werden, was wird anders erfasst?
- Vorratsvermögen und Verkaufsbestände sollten grundsätzlich jedes Jahr körperlich inventarisiert werden. Beispiele sind das Warenlager eines Industriebetriebs oder die Regale eines Einzelhändlers.
Die Notwendigkeit kann entfallen, wenn sich die Zahlen verlässlich und nachvollziehbar aus anderen Quellen ergeben. Das können eine ERP-Software oder die Lagerverwaltung sein. Eine gut geführte Warenwirtschaft spart auch in dieser Beziehung viel Arbeit. Mehr dazu steht im Abschnitt „Vereinfachte Inventurverfahren“.) - Körperlich erfasst werden in der Regel auch zum Verbrauch oder zur Weiterverarbeitung bestimmte Produktions- und Massengüter wie Rohstoffe, Schüttgut oder für den Betrieb erforderliche Flüssigkeiten, etwa Heizöl. Je nach Art werden sie gezählt, gemessen, gewogen oder auch geschätzt.
- Investitionsgüter des Anlagevermögens wie Maschinen oder Fahrzeuge müssen in der Regel nicht gezählt werden. Voraussetzung ist, dass sie mit genauen Anschaffungsdaten, Wertangaben und den laufenden Abschreibungsbeträgen in Anlageverzeichnissen verzeichnet sind.
- Kontoguthaben, Wertpapiere und Depotguthaben ergeben sich aus den jeweiligen Bestandskonten.
- Bargeld-Kassen müssen entweder gezählt werden, oder der Kassenbestand ergibt sich aus dem laufenden Kassenbuch. Digitale Kassen ermöglichen das direkte Auslesen.
- Immaterielle Werte wie Schulden, Patentrechte oder Software-Lizenzen werden aus den entsprechenden Buchführungskonten erfasst.
- Auch die Immobilienwerte des Unternehmens ergeben sich aus den Büchern.
- „Vermögensgegenstände des Sachanlagevermögens“ sowie „Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe“ dürfen von Jahr zu Jahr mit einem Festwert angesetzt werden. Voraussetzung: sie werden im Betrieb regelmäßig ersetzt und ihr Gesamtwert ist wirtschaftlich von nachrangiger Bedeutung. Ein Beispiel sind die Shampoo-Fläschchen, mit denen Hotels ihre Zimmer ausstatten. Bei Nutzung der Festwert-Methode sollte alle drei Jahre eine physische Inventur stattfinden, d. h. gezählt werden.
Eine professionelle Warenwirtschaft erleichtert die Inventur enorm. Tipps dazu liefert „Effiziente Warenwirtschaft: Wie Sie Ihren Lagerbestand im Griff behalten und rechtliche Stolpersteine vermeiden“.
Professionelle ERP-Lösungen bietet die Buhl-Lösungen Unternehmer 365 Professional. Anlagenbuchhaltung ist Teil von Buchhaltung 365 Professional.
Welche Form muss das Inventar haben?
Grundsätzlich muss das Inventar jeden Vermögensgegenstand mit Art, Menge und Wert einzeln auflisten. Gleiches gilt für Forderungen. Zusammengefasst werden dürfen „gleichartige Vermögensgegenstände des Vorratsvermögens“ – also beispielsweise alle Rohlinge eines Typs, ebenso „andere gleichartige oder annähernd gleichwertige bewegliche Vermögensgegenstände“. Auch gleichartige Schulden können zusammengefasst werden. (§ 240 Abs. 4 HGB).
Eine bestimmte Form ist nicht vorgeschrieben. Allerdings sollten Inventurlisten neben den Angaben zu Art oder Typ, Menge oder Anzahl sowie dem Wert der erfassten Vermögensgegenstände stets auch Angaben zum Datum und den Namen der an der Erfassung und/oder Kontrolle beteiligten Personen enthalten. Ob man das Inventar auf Papier, mit digitalen Hilfsmitteln wie Excel oder mit einer professionellen Inventar-Software erstellt, hängt von der Größe des Unternehmens, der Art und Menge der Vermögensgegenstände und den eigenen Präferenzen ab.
Übrigens: Für Inventare gilt eine Aufbewahrungsfrist von zehn Jahren (§ 257 Abs. 1 HGB). Das schließt Inventurlisten, Protokolle und andere Begleitdokumente ein. Die digitale Archivierung ist zulässig.
Was passiert, wenn man die Inventur versäumt?
Wer trotz Inventurpflicht keine Inventur durchführt, muss damit rechnen, Ärger mit dem Finanzamt zu bekommen. Schließlich beruhen dann der Jahresabschluss und somit die Steuererklärung zur Einkommen- oder Körperschaftsteuer auf Zahlen ohne Grundlage. Das kann zu einer Schätzung der Steuerlast führen – was sich kaum zugunsten des Unternehmens auswirkt.
Schlimmstenfalls kann eine versäumte oder fingierte Inventur zu strafrechtlichen Problemen führen. Das Ergebnis kann eine Anklage wegen Steuerhinterziehung oder Steuerverkürzung, wegen Betrugs im Zusammenhang mit Unternehmenstransaktionen oder wegen Bankrotts („Insolvenzbetrug“) sein.